Whitepaper:

Veränderungsmanagement durch systemische Führung

Von Daniel F. Pinnow, März 2009

In der Weltwirtschaft grassiert ein hartnäckiger Virus, die „Projekt-Manie“. Wo immer neues geschaffen oder altes verabschiedet werden soll, berufen Führungskräfte Projektgruppen – deren Arbeit meist nicht nur Widerstände regt, sondern oft genug im Sande verläuft. Der Grund: Veränderung lässt sich nicht outsourcen, sie beginnt nicht in einem Projekt, sondern in der Führungskraft selbst. Um Veränderungen führen zu können, muss eine Führungskraft zunächst die zentrale Person in diesem Prozess führen können, sich selbst. Diese Kompetenz ist kein Tool, das Führungskräfte lernen und in ihren Werkzeugkasten aufnehmen können, es ist ein fortlaufender Prozess, den es zu trainieren gilt: Change Management durch Management Change.

Change Management steht heute auf der Agenda der meisten Führungskräfte, freiwillig oder notgedrungen. Im Sinne eines Kontinuierlichen Verbesserungsprozesses arbeiten Führungs-kräfte tagtäglich daran, ihr System, ihre Strategie, ihre Organisation, ihre Prozesse und ihre Ressourcen stetig zu verbessern. Sie besitzen die Fähigkeit, von der Zukunft aus zu denken und bereiten sich auf alle absehbaren und auch auf unvorhersehbare Veränderungen vor – im Idealfall. In der Realität findet dieser Prozess meist nicht als Aktion, sondern als Reaktion darauf statt, dass sich die Rahmenbedingungen verändern. Unter Überschriften wie „Innovations-Motor“, „Qualitäts-Offensive“, „Kostenoptimierungs-Prozess“ oder „Personalanpassungs-Initiative“ starten Unternehmen – oder besser deren Entscheidungsträger – in aller Eile Projekte, weil die Konkurrenz eine technische Revolution vorstellt, weil die Rohstoffpreise entweder explodieren oder wie momentan wieder implodieren oder weil, wie in der derzeitigen Wirtschaftskrise, von heute auf morgen die Liquidität des Unternehmens wegschmilzt. Solche Projekte haben per Definition einen offiziellen Anfang und ein offizielles Ende. Die Projektmanager erhalten einen konkreten Auftrag und einen Termin, an dem sie eine Lösung für das jeweilige Problem vorlegen sollen. Sie öffnen ihre hochwertig gefüllten Werkzeugkästen, analysieren das Problem, entwickeln Lösungsalternativen und präsentieren zum Stichtag der Geschäftsführung ihre Ergebnisse. Die Geschäftsführung kommuniziert die Ergebnisse die Führungskaskade herunter. Doch die erhofften Erfolge bleiben auch Monate später noch aus oder das Projekt verläuft im Sande. Denn Veränderungen können nicht in Auftrag gegeben werden. Selbst wenn die von den Entscheidungsträgern berufenen Veränderungsmanager in ihrem Projekt ausgefeilte und evaluierte Instrumente verwenden, bewegen sich ihre Analysen mit diesen Instrumenten meist auf einzelnen Ebenen. Innerhalb der gewählten Ebene stellen sie „Wenn-Dann-Beziehungen“ her und vernachlässigen dabei, dass ein so komplexes System wie ein Unternehmen eben nicht auf einzelne Ebenen zu reduzieren ist, sondern immer als Ganzes betrachtet werden sollte. Nur selten Fällen finden sich die Ursachen auf der gleichen Ebene wie die Symptome. Mitarbeiter – und noch immer viel zu viele Unternehmenslenker – betrachten Veränderungs-Projekte als genau das, als was sie offiziell ins Leben gerufen wurden, als Task Force, die sie zusätzlich zu ihrem Alltag bewältigen müssen. Solche zusätzlichen Aufgaben sind per se erst einmal unbequem. Die Mitarbeiter empfinden sie als lästig, denn sie stellen Gewohntes in Frage, verunsichern und bringen mehr Arbeit ohne der Masse der Betroffenen zunächst einen unmittelbaren individuellen Nutzen zu bieten (Frey & Schulz-Hardt 2000). So wehren sich die jeweiligen Mitarbeiter nicht nur innerlich oder sogar offen gegen Veränderungen, sondern sitzen sie oft einfach aus und freuen sich auf die Zeit „back to normal Business“. Dabei sind Projekte sinnvoll und notwendig, um Neuem die notwendige Energie, Arbeitskraft, kreative „Spielwiese“ und Zeit zu geben, die Innovationen brauchen. Doch Veränderung beginnt nicht in einem Projekt. Projekte sind weder der erste noch der entscheidende Schritt für eine Veränderung, sondern lediglich ein Instrument unter anderen im Werkzeugkasten einer erfolgreichen Führungskraft. Der eigentliche Motor für eine erfolgreiche Veränderung ist die Führungskraft selbst. Sie initiiert tiefgreifende und nachhaltige Veränderungen im Inneren ihres Systems (vgl. Chell 2000; Knippenberg & Hogg, 2003; Hambrick et al. 1997; Tidd et al. 2005).

Verändern bedeutet führen Der von Daniel F. Pinnow (Geschäftsfüher der Akademie für Führungskräfte) entwickelte Ansatz der systemischen Führung (Pinnow 2005) sieht eine Führungskraft vor allem als Teil eines komplexen Systems, das sich fortwährend verändert. Jedes System – und so auch jedes Unternehmen – hat nicht nur alles, was es braucht um zu überleben, sondern verfügt auch über die notwendige Energie, um Innovationen voranzutreiben und im Wettbewerb mit anderen Systemen, mit anderen Unternehmen, zu bestehen. Ein System steuert sich nicht nur selbst, sondern zielt immer auf Balance und Selbsterhalt. Zentrale Aufgabe der Führungskraft ist es, Veränderungen in diesem System anzustossen (vgl. Neuberger 2002). Die Eigendynamik von Systemen ist dabei so groß, dass eine Führungskraft niemals in der Lage sein wird, ihr jeweiliges System zu kontrollieren. Wer darum als Führungskraft Veränderungen einleiten will, kann nur mittelbar Einfluss auf sein System nehmen, indem er sein System beobachtet, analysiert und durch Impulse in Gang setzt. Die Kunst des Führens besteht folglich nicht darin, ein System zu managen, sondern dessen Beziehungen. Dazu richtet eine systemisch denkende Führungskraft ihre Aufmerksamkeit ganz bewusst weg von den oberflächlichen Symptomen ihres Systems. Sie fragt nicht „Welche Experten brauche ich für mein Veränderungsprojekt?“, sie beginnt einen Schritt früher und steigt eine Ebene tiefer ein. Sie analysiert, welche sachlichen, sozialen und zeitlichen Muster und Prozesse ihrem jeweiligen System zugrunde liegen und fragt „Welche Impulse muss ich meinem System geben um Kurs auf das neue Ziel zu setzen?“ Mit diesen Erkenntnissen führt sie ihre Mitarbeiter indirekt und aus dem inneren des Systems heraus – anstatt direkt und von oben.

Führen bedeutet sich selbst führen Voraussetzung dafür ist, dass eine Führungskraft in der Lage ist, den zentralen Menschen in diesem Prozess zu führen: sich selbst. In dem in der Akademie für Führungskräfte praktizierten systemischen Führungsansatz ist diese scheinbar banale Tatsache unabdingbare Grundlage zum Erfolg. Wer seine eigenen Handlungsmuster erkennt und versteht, kann sein Verhalten bewusst steuern und sich selbst führen. Erst wer sich selbst führen kann, kann auch lernen, Menschen zu führen. Wer in der Lage ist, Menschen zu führen, kann lernen ein Unternehmen zu führen. (vgl. Drucker, 1956) Am Anfang eines Veränderungsprozesses steht also immer die Selbstreflektion der Entscheidungsträger. Damit diese Entwicklung stattfinden kann, muss die Führungskraft drei Bedingungen erfüllen: Sie muss ihrer Umwelt gegenüber offen, wertschätzend und partnerschaftlich eingestellt sein, ihre Einstellungen und Werte sollten klar und transparent sein und sie sollte bereit sein, ihr eigenes Verhalten und ihre Handlungsmuster zu reflektieren, zu verändern und fortwährend weiter zu entwickeln (vgl. Kirsch et al. 1979). Für Führungskräfte der unteren und mittleren Hierarchie-Ebenen bietet der Berater-Markt mittlerweile unzählige standardisierte und gut validierte Feedback-Instrumente. Unternehmen setzen sie gern als objektives Instrument ein, um Performance-Gespräche zu führen und die Entwicklung von Führungskräften zu planen. Ausgeschlossen von diesem persönlichen Entwicklungs-Prozess sind in der Regel aber gerade die zentralen Personen für eine Veränderung, die Köpfe einer Organisation, ihre Entscheidungsträger. Sie stehen aus der Sicht dieser Methode „über allen anderen“ an der Spitze des Systems und erhalten aufgrund dieser Position nur in großen Ausnahmefällen ein offenes, ehrliches, persönliches und konstruktives Feedback. So kann es passieren, dass diese Führungskräfte trotz bester Absichten in eingefahrenen Handlungsmustern stecken bleiben, auf der Stelle treten, und so durch ihr eigenes Verhalten gerade diejenigen Veränderungsprozesse im eigenen System blockieren, die sie selbst – zum Beispiel durch ein Projekt – anstossen wollten.

Sich selbst führen bedeutet verändern
In einem speziell auf diese Ausnahme-Gruppe der Entscheidungsträger in Organisationen zugeschnittenen Seminar für „Top Leader“ unterstützt und begleitet die Akademie für Führungskräfte Geschäftsführer und Vorstände dabei, ihr Verhalten und die ihm zugrunde liegenden Muster zu reflektieren und ihre Führungspersönlichkeit mit Hilfe von unmittelbarem und vor allem offenen Feedback zu entwickeln. Seine eigenen Handlungsweisen zu erkennen, anzunehmen und bewusst zu lenken ist kein Tool, kein Patent-Rezept das Führungskräfte erlernen und in ihren Werkzeugkasten aufnehmen können, sondern ein fortwährender Prozess, für den es Unterstützung und Impulse bedarf. Ein Seminar – als Initialzündung dieses Prozesses – führt die Teilnehmer dabei in vier Stufen:

1. Raus aus der sozialen Identität, rein in die individuelle Identität
Wichtig ist, dass die Teilnehmer eben nicht in ihrer Rolle als Vorstände und Geschäftsführer in den Prozess starten, sondern mit ihrer ganz persönlichen individuellen Identität. Dazu führen zwei Trainer die Teilnehmer zunächst behutsam aus ihrer aktuellen sozialen Identität heraus. Die Unternehmenslenker treten quasi aus ihrem unternehmerischen Alltag. Ihre Gruppenidentität, Titel, Funktion, Branche und Status-Symbole bleiben an der Rezeption des Seminarhotels, die in Seminaren oft übliche Vorstellungsrunde mit Namensschildern entfällt (vgl. Hogg & Terry 2000). Stattdessen schlendern die Teilnehmer durch den Seminarraum wie über einen Marktplatz. Sie studieren sich gegenseitig und machen sich geführte Gedanken übereinander: „Was nehme ich am anderen wirklich wahr? Was macht der andere genau, welches Gefühl löst das bei mir aus? Welchen ,blinden Fleck‘ in mir spricht er unbewusst an? Was würde wohl passieren, wenn ich ihm konkret sage, was in mir vorgeht, wenn er dieses oder jenes tut?“ Diese Fragen schärfen die Wahrnehmung und bringen unbewusst ablaufende Prozesse auf eine kognitive Ebene. Der nonverbale Marktplatz mündet in einem höchst seltenen und darum um so wertvolleren Feedback: Jeder Teilnehmer bittet zwei der anderen um seinen ersten Eindruck von seiner eigenen Person, um ein Fremdbild also, das Menschen normalerweise nicht offen austauschen. Durch diese Art von Feedback gewinnen die Teilnehmer Erkenntnisse darüber wie sie – ohne überhaupt gesprochen zu haben – auf fremde Personen wirken, eine Erkenntnis die durch Selbstbeobachtung nicht möglich wäre. Erst nach diesem Feedback stellen die Teilnehmer sich selbst vor, wieder nur die eigene Person, ihre wichtigen Eigenschaften und prägende Erfahrungen, nicht aber ihre Position im Unternehmen, die bleibt das ganze Seminar über sekundär.

2. Die Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt lenken
Am Anfang einer geplanten Veränderung stehen in der Regel eine Analyse der Ist-Situation und eine Definition des Soll-Zustandes. Bei einer Persönlichkeitsentwicklung laufen diese beiden Prozesse nicht strikt hintereinander ab, sondern parallel und wechselseitig. Gerade westlich geprägte Führungskräfte stehen bei der Analyse ihrer eigenen Person oft vor einer Aufgabe, die in ihrem Alltag bisher kaum Platz hatte: Sie sind gewohnt, Zahlen und Fakten zu beobachten und auszuwerten, nicht aber ihr eigenes Verhalten und schon gar nicht ihre unbewussten Handlungsskripte. Um das zu leisten, müssen sie zuvor trainieren, ihre Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu richten und neben unternehmerischen Kennzahlen auch und gerade die Antreiber und Hinderer ihres eigenen inneren Systems erkennen und lesen lernen. Das wird im Seminar sowohl auf kognitiver als auch auf emotionaler Ebene angestossen. Dazu lenken die Trainer die Teilnehmer gleich zu Beginn umgehend in Form einer geführten Gedankenreise direkt in ihre persönliche Gegenwart: „Wie fühle ich mich gerade? Mit welchen Gedanken bin ich von Zuhause losgefahren? Mit welchen Gedanken bin ich jetzt hier? Bin ich wirklich bereit, meinen Teil der Verantwortung für die anstehende Veränderung zu übernehmen?“ Übungen dieser Art wechseln sich mit Körper-Übungen und angeleiteten Lernpartnerschaften ab, in der je zwei Teilnehmer ihre Beobachtungen, Gefühle und Gedanken austauschen. Die Lernpartnerschaft hat die Funktion, die durch die übrigen Übungen angestossenen unbewussten Prozesse auf einer bewussten Ebene auch kognitiv in einem geschützten Raum zu analysieren und zu interpretieren. Eine Präsentation von wissenschaftlichen Theorien, die diesen Prozess erklären, gibt es im Seminar bewusst nicht. Die Erfahrung hat gezeigt, dass derartige Frontal-Präsentationen den Prozess der Selbstwahrnehmung eher stören als ihn zu bereichern. Besser erhalten die Teilnehmer nach Abschluss des Seminars ein Handout mit Führungs-Modellen und theoretischen Erklärungen.

3. Das „innere Team“ kennen lernen
Unser Verhalten beruht zu großem Teil auf einem Muster, das sich aus unseren Einstellungen und unseren subjektiven Normen formt. Bereits in früher Kindheit übernehmen wir Handlungsskripte, in dem wir unsere Umwelt beobachten und nachahmen. Für unser Verhalten als Führungskraft stehen dabei die beiden Personen im Zentrum, bei denen wir Führung bereits in Kindertagen ganz unmittelbar erfahren: Vater und Mutter bzw. entsprechende Bezugspersonen, die an deren Stelle getreten sind. Unser Verhalten gegenüber anderen Menschen bildet sich dabei aus drei Komponenten: dem Wunsch, den wir an eine Beziehung herantragen, der Erwartung, wie andere auf diesen Wunsch antworten und aus unseren affektiven und kognitiven Reaktionen darauf, wie die anderen auf unseren Wunsch reagieren. Dieses Skript zieht sich nicht nur durch unser Privatleben, sondern färbt auch, wie ein Mensch in seiner Arbeitswelt mit dem Thema Führung umgeht. So verhalten sich selbst erfahrene Führungskräfte ihren Mitarbeitern gegenüber oft in den eingefahrenen Mustern ihrer Kindheit und Jugend (Andersen & Chen 2002). Je weiter oben sie in der Hierarchie stehen, desto seltener erhalten sie ein entsprechendes Feedback. Die gute Nachricht: Diese Skripte sind zwar tief in uns verankert. Ihre reflexartige Funktion lässt sich aber unter bestimmten Bedingungen aushebeln, nämlich dann, wenn wir motiviert sind und die Gelegenheit haben, über unser Verhalten nachzudenken (Fazio, 1990). Eine Grundlage hierfür schaffen die Trainer bereits dadurch, dass sie wie oben beschrieben die Teilnehmer mit ihrer individuellen Identität und nicht mit ihrer aktuellen Gruppenidentität in den Prozess führen und die Wahrnehmung der Führungskräfte für ihre eigenen Gefühle und Gedanken im Hier und Jetzt schärfen. Diese beiden Bedingungen sind notwendig, doch noch nicht hinreichend. Denn jetzt liegt es an der Motivation, der Fähigkeit und dem Vertrauen der Führungskraft in sich selbst, in den Trainer und die anderen Teilnehmer, ihre Skripte zu analysieren (Van Velsor et al. 2006). Eine zentrale Methode dafür ist die Aufstellungsarbeit (vgl. Weber 2001). Ähnlich wie in der zur Therapie verwendeten Aufstellung stellt die Führungskraft ihr „eigenes inneres Team“ (Schulz von Thun 2003), bestehend aus ihren inneren „Unterstützern“ und ihren inneren „Hinderern“ im wahrsten Sinne des Wortes im Seminarraum auf: Ausgewählte Teilnehmer positionieren sich symbolisch als Stellvertreter für typische Gefühle, Gedanken und Eigenschaften, die die Führungskraft beim Führen unterstützen oder hindern in unterschiedlichen Posen und in unterschiedlichem Abstand zur jeweiligen Führungskraft im Raum. Mit Unterstützung der Trainer aber auch der im Raum verteilten „Unterstützer“ und „Hinderer“ analysiert die Führungskraft ihr persönliches Team und die Handlungsmuster, die durch ihre im Raum plastisch dargestellten Einstellungen und Normen immer wieder entstehen. Und sie sucht nach Erfahrungen und Erlebnissen, die dieses innere Team haben entstehen lassen. Wichtig ist, dass an dieser Stelle nicht nur sozial erwünschte Züge einer Person zur Sprache kommen, sondern, dass sich die Führungskraft auch und vor allem unbequemen Themen wie zum Beispiel ihren Ängsten stellt. Die Trainer fungieren an dieser Stelle als „Hebamme“, indem sie die Umgebung bestmöglich vorbereiten und den „Geburtsprozess“ durch Impulse anstossen. Allein die Führungskraft selber entscheidet sich – um im Bild zu bleiben – „ihr Baby zur Welt“ zu bringen.

4. Das „innere Team“ neu aufstellen
Hat die Führungskraft ihre unbewussten Mechanismen analysiert und erkannt, erarbeitet sie geführt von den Trainern eine neue Konstellation ihres inneren Teams. Jetzt rückt zum Beispiel der Mut von der hintersten Ecke des Raumes nach vorne in den Blickwinkel der Führungskraft und stellt sich selbstbewusst der Angst vor Versagen gegenüber, während Kreativität und Freude die Führungskraft links und rechts unterhaken. Wichtig ist dabei die Einsicht, dass eine als negativ erlebte Emotion nicht einfach aus dem inneren Team verwiesen oder negiert werden kann. Die Führungskraft erkennt in diesem Prozess, dass ihre Hinderer genauso Teil ihrer Persönlichkeit sind wie ihre Antreiber. Ihre Leistung besteht darin, das gesamte Team als das ihre anzuerkennen und sich zu überlegen, wie es optimal miteinander funktionieren kann. Was auf den ersten Blick durchaus ungewöhnlich und sogar befremdlich anmuten mag, ist ein von der Führungskraft selbst gesteuerter Prozess, in dem sie ihr Team sowohl affektiv als auch kognitiv selbst formiert und ausprobiert, welche Strukturen wie wirken. Die neue Aufstellung testet und justiert sie bereits unmittelbar im Seminar in Gruppenübungen und Rollenspielen. Ist die Umstrukturierung des inneren Teams geglückt, verlässt die Führungskraft das Seminar mit dem Bewusstsein: „Ich weiss, wer ich bin, ich kenne meine Haltung und stehe dazu.“ Sie hat begonnen, sich selbst zu führen.

Jetzt – und erst jetzt – da sie in der Lage ist, sich selbst zu führen, hat eine Führungskraft die notwendigen Vorraussetzungen dafür geschaffen, Tools wie zum Beispiel ein Projekt erfolgreich einzusetzen. Und sie hat die Wahrscheinlichkeit erhöht, ihrem nächsten Change Management Projekt nicht selbst im Weg zu stehen, sondern ihm die richtigen Impulse zu geben.

Literatur

Andersen, S.M. & Chen, S. (2002). The relational self: An interpersonal social-cognitive theory. Psychological Review. 109(4), 619-645.

Chell, E. (2000). Towards Researching the „Opportunistic Entrepreneur“: A Social Constructionist Approach and Research Agenda. European Journal of Work and Organizational Psychology, 9(1), 63-80.

Drucker, P. F. (1956). Die Praxis des Managements. Düsseldorf: Econ.

Fazio, R.H. (1990). Multiple processes by which attitudes guide behavior: The MODE model as an integrative framework. In: M.P. Zanna (Ed.), Advances in Experimental Social Psychology, 23, 75-109. New York: Academic Press.

Frey, D.; Schulz-Hardt, S. (2000). Vom Vorschlagswesen zum Ideenmanagement. Zum Problem der Änderungen von Mentalitäten, Verhalten und Strukturen. Göttingen: Hogrefe.

Hambrick, D.C., Nadler, D.A. & Tushman, M.L. (1997). Navigating Change: How the CEOs, Top Teams and Boards Steer Transformation. Cambridge: Harvard Business School Press.

Hogg, M.A. & Terry, D.J. (2000). Social Identity and Self-Categorization Processes in Organizational Contexts. Academy of Management Review. 25, 121-140.

Kirsch, W.; Esser, W.-M.; Gabele, E. (1979). Das Management des geplanten Wandels von Organisationen. Stuttgart: Poeschel.

Knippenberg, v.D. & Hogg, M.A. (2003). A Social Identity Model of Leadership Effectiveness in Organizations. Research in Organizational Behavior. 25, 243-295.

Neuberger, O. (2002). Führen und führen lassen. Ansätze, Ergebnisse und Kritik der Führungsforschung. Stuttgart: UTB.

Pinnow, D.F. (2005). Führen, worauf es wirklich ankommt. Wiesbaden: Gabler.

Schulz von Thun, F. (2003). Miteinander Reden. Hamburg: Reinbeck.

Van Velsor, E., Taylor, S. & Leslie, J.B. (2006). An examination of the relationships among self-perception accuracy, self-awareness, gender, and leadership effectiveness. Human Resource Management. 23, 249-263.

Weber, G. (2001). Praxis der Organisationsaufstellung: Grundlagen, Prinzipien, Anwendungsbereiche. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme.

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